Presseartikel "Sport mal so, wie ihn Kinder lieben"
Leichtathletik: Disziplinen spielerisch zu vermitteln, zahlt sich aus – zum Beispiel beim VfL Winterbach
Diskuswerfen ohne Diskus? Hürdenlauf ohne Hürden? Mehr Spaß als Leistung? "Niemals!", jaulten Altsportler, als der Württembergische Leichtathletik-Verband kindgerechte Wettkämpfe forderte. Und dann noch mehr, als drei Frauen im Rems-Murr-Kreis kurzerhand den Laden umkrempelten. Und heute? Lachen die Pionierinnen zuletzt. Früher war eben nicht alles besser. Das sagt Inge Rieger mit ihren fast 30 Jahren Erfahrung als Ehrenamtliche beim VfL Winterbach. Stinklangweilig sei's gewesen, das Grundlagentraining für Kinder. "In die Sandgrube hüpfen, 50 Meter Laufen und Schlagball-Werfen. Und das den ganzen Sommer." Dazu das ewige Schlangestehen, bis man mal dran kam. Ein Sprung, dann wieder hinten anstellen. Für die Energiebündel eine Tortur. Kein Wunder, dass viele bald keine Lust mehr hatten und die Leichtathletik eben bleiben ließen. Der Nachwuchs kommt, der Nachwuchs geht – Vereinsalltag.
Und ebenso öde wie für die Kinder war das Training für die Betreuer. Das galt fast noch mehr für die Wettkämpfe, die viele Stunden dauerten. Begeistert war Rieger deshalb, als der – nicht nur von Wohlmeinenden – als Kinderleichtathletik-Guru bezeichnete damalige DLV- und WLV-Vizepräsident Fred Eberle im Jahr 2012 ein neues Wettkampfsystem für die unteren Altersklassen vorstellte. Als Lehrwartin des Leichtathletik-Kreises Rems-Murr nahm sie zusammen mit zwei Mitstreiterinnen, der Winterbacher Trainerin Karin Triemer und der damaligen Kreis-Jugendwartin Katja Weißhaar (TSV Schmiden/SG Weinstadt), das Heft in die Hand. Bereits in der Sommersaison 2012 startete eine kreisweite Team-Liga für die Altersklassen U8 bis U12.
Das sportliche Ergebnis ist zweitrangig – ein Affront!
Das Neue: Die Einzelwertung wurde abgeschafft, die Kinder traten nur noch in Mannschaften an. Das Ergebnis – da maulten Verfechter des Leistungssports – rückte in den Hintergrund. Wichtiger waren nun der Spaß und das spielerische Erlernen der Disziplinen. Und so ist es auch heute noch. Wer Übungsleiter werden will, muss einen Lehrgang in kindgerechter Leichtathletik besuchen. Anfangs sei die Skepsis in Vereinen hoch gewesen, erinnert sich die 69-jährige Rieger. "Aber inzwischen hat im Rems-Murr-Kreis ein totaler Umbruch stattgefunden.
In der Kidletik-Liga sind die Teilnehmerfelder größer geworden. Trotzdem geht so ein Wettkampf in nur zwei Stunden über die Bühne." Die Pionierarbeit hat sich gelohnt: "Die Kinder haben mehr Spaß und bleiben länger dabei in der Leichtathletik. "Denn auch das Training in den Vereinen hat sich gewandelt. Beim VfL Winterbach, erzählt Rieger, "trainieren wir Disziplinen schon bei den ganz Kleinen". Beispiel Stabhochsprung: Die Kinder rennen mit einem kleinen Stab auf die Grube zu, stechen ihn in den Sand und hüpfen mit seiner Hilfe, soweit sie kommen. Beispiel Ball- und Speerwurf: Die Kinder machen Zielwerfen auf aufgehängte Kuchenbleche.
Ein Fahrradreifen wird zur Diskusscheibe.
Die Trainer können ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Aus einem Fahrradreifen wird ein Diskus, aus einem Karton eine Hürde. Drei Stationen mit je zwei Übungsleitern werden pro Training aufgebaut, die Kinder müssen nicht lange auf ihren Einsatz warten. "Sie rennen viel und kriegen koordinativ was mit. Es sind auch Unsportliche dabei, aber es ist wichtig, dass die überhaupt Bewegung bekommen. Und wenn ein Kind 1,50 Meter weit springt und im nächsten Jahr 2,50 Meter, ist das auch für den Trainer schön. "Schön für den VfL Winterbach sind vor allem die Zahlen: Zwischen 40 und 50 Kinder – pro Altersgruppe! – kommen wöchentlich ins Training ins Stadion oder in die Salierhalle, schwärmt Rieger. Besonders freut sie, dass Jugendliche dabei helfen, die Kleinen zu betreuen. Junge Helfer von heute sind die Übungsleiter von morgen – die Grundvoraussetzung für gesunde Vereine. Und schon bruddelt niemand mehr über die blöde Kinder-Leichtathletik. Vor allem, weil sie nicht blöd ist.
Kritik an Bundesjugendspielen
Beim VfL Winterbach können Kinder ab vier Jahren ins Leichtathletik-Training kommen. "Sie sollten aber schon ein bisschen selbstständig sein", sagt Inge Rieger. Von der Altersklasse U10 an wird bereits leichtathletikspezifischer trainiert.
Inge Rieger kritisiert, dass die Kinder in der U14, der ersten Altersklasse mit der Einzelwertung in den klassischen Disziplinen, gleich zum Qualifikationswettkampf für die württembergischen Meisterschaften antreten. "Das ist gerade mal drei Wochen nach dem ersten richtigen Hürdentraining. Für mich wäre das noch nicht notwendig."
Verändert, also kindgerechter werden müssten laut Inge Rieger auch die Bundesjugendspiele. In Winterbach werden sie sogar schon durch das Ablegen des Sportabzeichens ersetzt. "Das ist nicht schlecht, da haben die Kinder noch Schwimmen dazu."